Warum ein Planer für Autist:innen hilfreich ist

– durch den Tag mit klarer Struktur!

Ein Text über Planung als Selbstfürsorge, kognitive Entlastung und sensorisch-regulative Strategie

Viele Menschen nutzen Kalender, Apps oder To-do-Listen, um ihren Alltag zu strukturieren. Für neurotypische Personen ist das oft eine Frage der Produktivität oder Zeitökonomie. Für autistische Menschen hingegen – insbesondere für spät diagnostizierte Frauen und nicht-binäre Personen – hat Planung eine ganz andere Funktion: Sie dient nicht nur der Organisation, sondern vor allem der Reizverarbeitung, der Selbstregulation und einer tiefen Form psychischer Entlastung.

Mein Essay „Mein Planer ist kein Witz“ bietet einen eindringlichen Einblick in diese Realität. Was auf den ersten Blick wie eine persönliche Vorliebe für analoges Planen wirkt, ist in Wahrheit Ausdruck eines grundlegenden Bedürfnisses: Struktur nicht als äußere Erwartung, sondern als innere Notwendigkeit.

Planung als kognitive Reizregulation

Viele autistische Menschen erleben den Alltag als überstimulierend: Gespräche, Lichtquellen, Hintergrundgeräusche, soziale Konventionen, plötzliche Ablenkungen. Dazu kommt eine oft stark ausgeprägte Detailwahrnehmung, die wenig filtert und vieles gleichzeitig aufnimmt. In solchen Momenten fühlt sich das Denken an wie ein Bildschirm mit zu vielen offenen Tabs – unverbunden, flackernd, daueraktiv.

Ein Planer – egal ob digital oder analog – kann dabei helfen, dieses innere Chaos zu ordnen. Nicht, um mehr zu schaffen, sondern um weniger mit sich herumzutragen. Durch das Aufschreiben von Aufgaben, Gedanken, Reizen und Routinen entsteht ein Ort außerhalb des eigenen Kopfes, an dem Dinge abgelegt werden dürfen. Es ist eine Form von Entlastung, nicht von Kontrolle.

Was mir dabei besonders hilft, ist nicht nur das Festhalten von Terminen, sondern das bewusste Eintragen von inneren Zuständen. Ich nutze Felder für Energielevel, Reizgrenzen, Stimmung oder auch für die Frage: „Was hat mir heute gutgetan?“ Diese einfache Geste schafft Verbindung zwischen äußerem Ablauf und innerem Erleben.

Planung als Form des Stimmings

Stimming – also selbststimulierendes Verhalten – wird oft mit Bewegungen wie Wippen, Summen oder Tippen verbunden. Aber auch kognitive, schriftliche oder visuelle Routinen können eine ähnliche Funktion erfüllen. Das Schreiben selbst kann zu einer beruhigenden Handlung werden: Das Ziehen einer Linie, das Setzen eines kleinen Symbols, das Umblättern einer Seite. Die Haptik des Papiers, der Klang eines Stifts auf der Seite, das bewusste Ordnen von Gedanken – all das hilft mir, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ich ohne meinen Planer aus dem Haus gegangen bin. Es war, als hätte ich meine schützende Außenschicht vergessen. Die Welt war zu laut, zu unstrukturiert, zu direkt. Seitdem weiß ich: Mein Planer ist kein Accessoire. Er ist ein Werkzeug zur Reizregulation.

Struktur statt Zwang – Klarheit ohne Druck

Viele Planungsangebote sind auf Effizienz und Zielorientierung ausgelegt: Ziele setzen, Zeitfenster nutzen, Ergebnisse tracken. Für viele autistische Menschen fühlt sich das jedoch wie eine doppelte Anforderung an – nämlich gleichzeitig leistungsfähig und strukturiert sein zu müssen. Dabei fehlt es nicht an Motivation. Es fehlt oft schlicht an Übersicht, Ruhe, Klarheit.

Der Text „Mein Planer ist kein Witz“ beschreibt genau das. Dort gibt es keine Bewertung, keine Optimierung, keine Zielverfolgung. Stattdessen gibt es Raum für den schlichten Satz: „Heute war’s einfach viel„. Diese Art der Planung fragt nicht nach Produktivität, sondern nach Befinden. Und genau das ist es, was vielen von uns fehlt.

Empfehlenswert sind Planungsformate, die Raum lassen. Leere Felder. Sanfte Leitfragen. Reduzierte visuelle Gestaltung. Auch Rituale wie ein tägliches Check-in mit sich selbst („Wie war mein Energielevel heute?“, „Worauf war ich stolz?“) können helfen, sich innerlich wieder zu verorten.

Warum besonders autistische Frauen von ruhiger Struktur profitieren

Viele autistische Frauen maskieren ihre Symptome über Jahre hinweg. Sie wirken sozial angepasst, organisiert, leistungsfähig. Doch unter dieser Oberfläche verläuft ein ständiger innerer Abgleich: Was habe ich vergessen? Wie wirke ich? Was wird erwartet? Wie viel Kraft habe ich noch übrig, um so zu tun, als sei alles okay?

Ein Planer kann in solchen Momenten zur Rückversicherung werden. Nicht zur Kontrolle, sondern zur Entlastung. Ich sehe schwarz auf weiß, was ich geschafft habe – und was nicht mehr geht. Ich kann Reizpegel benennen, statt sie zu unterdrücken. Ich verliere mich nicht im Kopfkino, sondern finde eine Form für das, was innerlich verschwimmt.

Besonders hilfreich sind Formate, die sachliche Struktur und emotionales Selbstmonitoring kombinieren. Planer mit Feldern für Reizgrenzen, nonverbale Skalen (z. B. „Körper + Kopf: 1–5„) oder einfache Reflexionsfragen. Es geht nicht darum, Leistung zu messen. Es geht darum, sich selbst nicht aus dem Blick zu verlieren.

Fazit: Planung als Selbstfürsorge

Planung ist für viele Autist:innen kein Mittel zur Effizienzsteigerung. Sie ist eine Form der Selbstfürsorge. Ein Werkzeug zur Reizverarbeitung. Ein Ort der inneren Ordnung in einer äußeren Welt, die selten leise ist.

Wenn wir Planungsprozesse endlich auch als neurodivergente Strategien anerkennen, können sie zu echten Hilfsmitteln werden. Nicht für Produktivität. Sondern für Präsenz. Nicht für Zielverfolgung. Sondern für Selbstverbindung.

Denn ein Planer ist manchmal mehr als ein Kalender. Er ist eine Brücke – von innen nach außen. Und wieder zurück.

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