Wie wir fühlen: Autistische Empathie jenseits der Erwartung
Wenn in Gesprächen von Empathie die Rede ist, entsteht oft der Eindruck, als handele es sich dabei um ein eindeutig umrissenes Konzept, das von allen gleich verstanden und erlebt wird. Gemeint ist in der Regel die sogenannte affektive Empathie – jenes spontane Mitempfinden, bei dem sich das eigene emotionale Erleben augenblicklich mit dem eines anderen Menschen verbindet. Wer lacht, wird angesteckt. Wer weint, berührt unmittelbar das eigene Innerste. Diese Reaktionsweise gilt vielen als Inbegriff menschlicher Verbundenheit – instinktiv, unmittelbar, selbstverständlich.
Gerade aus einer neurotypischen Perspektive wird diese Form der emotionalen Spiegelung als Ausdruck tiefer Beziehung gewertet. Sie ist sichtbar, sie ist unmittelbar, und sie lässt sich intuitiv einordnen. Doch dort, wo dieses Echo ausbleibt – oder sich zeitverzögert und andersartig zeigt –, wird häufig vorschnell geschlossen, dass keine Empathie vorhanden sei. Dass es an Gefühl fehle. Dass eine Leere herrsche, wo in Wahrheit nur Stille ist.
Diese Sichtweise ist nicht nur verkürzt, sie wird auch dem Erleben vieler autistischer Menschen nicht gerecht.
Wenn Empathie nicht reagiert, sondern sucht
Empathie in autistischer Ausprägung ist häufig weniger reaktiv als reflektierend. Sie folgt nicht unbedingt der Dynamik von Reiz und unmittelbarem Echo, sondern ist ein innerer Vorgang, der Zeit braucht – um zu sortieren, um zu verstehen, um zu antworten. Es handelt sich nicht um ein Defizit an Einfühlungsvermögen, sondern um eine andere Art, Beziehung herzustellen: durch Abwägen, durch Beobachtung, durch ein ernsthaftes Bemühen, dem Erleben der anderen Person gerecht zu werden.
Diese Form der Empathie ist nicht weniger echt, nur weil sie leiser beginnt. Viele von uns nähern sich der Gefühlswelt eines anderen Menschen nicht über spontane emotionale Resonanz, sondern über kognitive Brücken – wir versuchen, uns die Situation zu erklären, fragen nach Kontext, bedenken Details. Nicht aus Misstrauen, sondern weil wir ein ganzheitliches Bild brauchen, um wirklich fühlen zu können. Es ist eine Empathie, die nicht spiegelt, sondern übersetzt.
Wenn Nachfragen Nähe bedeuten
Ich habe oft erlebt, dass mein Verhalten in zwischenmenschlichen Situationen fehlgedeutet wurde – insbesondere dann, wenn emotionale Nähe erwartet wurde, aber nicht im gewohnten Format eintrat. In solchen Momenten wirke ich möglicherweise analytisch oder zurückhaltend, obwohl ich innerlich alles andere als distanziert bin. Was von außen kühl erscheinen mag, ist für mich Ausdruck von Sorgfalt: Ich möchte nicht vorschnell trösten, nicht übergehen, was gesagt wurde, sondern wirklich verstehen, was jemand bewegt – bevor ich antworte.
Dass ich dabei Fragen stelle – oft viele –, wird nicht immer als empathisch wahrgenommen. Doch genau darin liegt für mich die Verbindung: Ich frage nicht, um zu kontrollieren oder zu relativieren, sondern um begreifbar zu machen, was zunächst noch diffus ist. In meinem Bemühen, die Welt meines Gegenübers zu erfassen, liegt Fürsorge – keine Ablehnung.
Wenn ich nachhake, dann nicht, um mich zu schützen, sondern um der anderen Person gerecht zu werden. Um nicht vorschnell zu urteilen, sondern differenziert zu begleiten. Das ist meine Form von Nähe: nicht unmittelbar sichtbar, aber tief verwurzelt.
Jenseits der Norm – und dennoch menschlich
Die verbreitete Gleichsetzung von Empathie mit sichtbarer Emotionalität hat zur Folge, dass andere Formen einfühlenden Verstehens nicht nur übersehen, sondern bisweilen sogar abgewertet werden. Autistische Empathie entspricht nicht der gängigen Dramaturgie – sie braucht weder große Gesten noch emotionale Überwältigung, um echt zu sein. Was sie braucht, ist Raum. Und die Bereitschaft, sie nicht nur am Timing zu messen, sondern an ihrer Absicht.
Vielleicht wäre es hilfreich, Empathie nicht als sofortige Spiegelung zu begreifen, sondern als Einladung zur Verbindung – eine Einladung, die auf unterschiedlichen Wegen ausgesprochen werden kann. Und deren Echtheit sich nicht daran bemisst, wie sie aussieht, sondern daran, dass sie da ist.
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