Wie Stephanie Meer-Walter die Innenwelt des Spektrums sichtbar macht
REZENSION
Es gibt Bücher über Autismus, die erklären wollen. Und es gibt Bücher, die etwas erfahrbar machen. Stephanie Meer-Walters Buch „Autistisch? Kann ich fließend!“* gehört zu Letzteren. Es spricht nicht über Autismus – es spricht von innen heraus. Mit einer Sprache, die zugleich klar und nahbar bleibt. Mit Fakten, die eingebettet sind in gelebte Realität. Und mit einer Haltung, die nicht belehrt, sondern verbindet.
Späte Diagnose, früher Zweifel
Stephanie Meer-Walter erhielt ihre Autismus-Diagnose mit 47 Jahren. Vieles, was sie bis dahin über sich geglaubt hatte, verschob sich mit einem Mal. Nicht ins Gegenteil – aber in eine andere Ordnung. In ihrem Buch beschreibt sie diesen Prozess mit analytischer Schärfe und emotionaler Intelligenz. Sie erzählt von Reizverarbeitung, Stimming, von Routinen und Erschöpfung. Aber auch von Selbstzweifeln, vom Ringen um Sprache und der langen Suche nach einem stimmigen Selbstbild.
Zwischen Wissenschaft und Wirklichkeit
Besonders stärkend ist die Art, wie sie ihre Perspektive mit wissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpft. Nie zu trocken, nie zu distanziert. Sondern als Einladung zum Verstehen. Sie erklärt, was im Gehirn autistischer Menschen geschieht, warum scheinbar kleine Alltagsanforderungen überfordern können, oder warum 42 % mehr neuronale Aktivität im Ruhezustand eben nicht „besonders begabt“ bedeutet, sondern oft: erschöpft.
Der Ton des Buches bleibt dabei angenehm sachlich und gleichzeitig menschlich. Kein Pathos, kein Drama. Sondern ein stimmiger Wechsel zwischen Erzählperspektive, Hintergrundwissen und klug gesetzten Verweisen auf Studien oder Interviews. Gerade dieser rhythmische Wechsel macht das Buch so lesbar, so anschlussfähig für unterschiedlichste Leser:innen.
Ein Beitrag zur Aufklärung – und zur Sprache
„Autistisch? Kann ich fließend!“ ist mehr als ein Erfahrungsbericht. Es ist ein Beitrag zur gesellschaftlichen Aufklärung – aber auf eine Weise, die weder müde noch moralisch klingt. Meer-Walter schafft es, auch schwierige Themen wie Komorbiditäten, Therapieerfahrungen oder genderbezogene Unterschiede differenziert zu beleuchten, ohne je die Perspektive der Betroffenen zu verlieren.
Wer nach einem deutschsprachigen Buch sucht, das Autismus aus einer authentischen und gleichzeitig informierten Perspektive zeigt, ist hier genau richtig. Ob Psychologiestudent:in, angehöriger Mensch, pädagogische Fachkraft oder einfach jemand, der besser verstehen möchte – dieses Buch bietet viele Einstiegspunkte, ohne sich anzubiedern.
Vielleicht ist das größte Verdienst des Buches aber: Es spricht eine Sprache, die nicht trennt. Sondern verbindet.
Und das braucht es. Dringender denn je.
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