Autismus und Selbsthilfe (Bücher)

Was ich mir wirklich wünsche: Ein persönlicher Blick auf leere Seiten, hilfreiche Worte – und das, was dazwischen fehlt.

Ich habe viele Bücher über Autismus gelesen. Oder vielmehr: Ich habe viele begonnen, sie aufgeschlagen, durchgeblättert, und einige davon mit einem Gefühl der Enttäuschung wieder zur Seite gelegt. Manche wirkten wie überarbeitete Diagnosebroschüren in ansprechendem Layout – korrekt, freundlich formuliert, aber seltsam distanziert. Andere wiederum sprachen in einem Ton, als wollten sie mich therapieren, noch bevor sie überhaupt verstanden hatten, wer ich bin. Viele waren bemüht, einige sogar aufrichtig – aber nur sehr wenige fühlten sich so an, als wären sie für mich geschrieben worden, nicht über mich.

Was ich suche, ist kein weiteres Buch, das mich analysiert oder erklärt, sondern eines, das mir erlaubt, einfach zu sein – nicht als Projekt, sondern als Mensch. Ein Text, der nicht vorgibt, Selbsthilfe sei eine lineare Abfolge klarer Schritte mit vorhersehbarem Ziel, sondern der anerkennt, dass Entwicklung oft aus Umwegen, Pausen, Wiederholungen und stillen Momenten besteht. Ich sehne mich nach echtem, erfahrbarem Wissen, nach Sätzen, die nicht standardisiert sind, sondern durchlebt wirken. Keine fünf Tipps gegen Reizüberflutung. Keine Tabellen, die versuchen, mein inneres Erleben in ein Schema zu pressen.

(Eine kleine Randbemerkung: Ja, manche Strukturhilfen können unglaublich hilfreich sein. Ich nutze sie selbst – aber nur, wenn sie sich an mich anpassen, nicht umgekehrt.)

Ich wünsche mir Worte, die nicht nur erklären, sondern auch aushalten, was gerade ist. Sätze, die innehalten dürfen, bevor sie Orientierung anbieten. Ein Ton, der mich nicht ordnet oder glättet, sondern mich begleitet – in der Form, in der ich gerade existiere. Denn Selbsthilfe bedeutet für viele autistische Menschen nicht, alles allein zu schaffen, sondern sich selbst überhaupt wieder zu spüren – inmitten von Reizüberflutung, innerem Rückzug, sozialer Unsicherheit und der ständigen Frage, ob man zu viel ist oder schon wieder zu wenig.

In solchen Momenten brauche ich kein Konzept, sondern ein Gegenüber. Ich brauche ein Buch, das die Sprachlosigkeit kennt, die entsteht, wenn Überforderung körperlich wird. Einen Text, der nicht über mich hinweg spricht, sondern still neben mir sitzt – wenn ich unter Supermarktlichtern merke, dass ich gleich nicht mehr kann. Ich brauche keine Anleitung. Ich brauche das Gefühl, gesehen zu werden.

Was oft fehlt, ist eine Sprache, die auch innerlich barrierefrei ist. Texte, die nicht nur klar strukturiert sind, sondern emotional durchlässig bleiben. Die nicht gleich urteilen oder zurechtrücken, sondern einfach mitgehen. Die nicht direkt sagen „du bist gut, so wie du bist“, sondern dieses Gefühl zwischen den Zeilen mitschwingen lassen – glaubhaft, leise, tragfähig.

Ich wünsche mir Bücher, die nicht primär für Eltern oder Fachpersonen geschrieben sind, sondern für Menschen wie mich. Kein pädagogisches Werkzeug, keine didaktische Handreichung. Sondern Texte, die sich an jene richten, die mitten im Erleben stehen. Die nicht erklären, wie man mit uns umgehen soll, sondern wie wir mit uns selbst leben können – in Würde, mit Feingefühl, in Sprache, die nicht infantilisierend wirkt, sondern ernst nimmt. Mit Tools, die helfen, ohne zu belehren. Mit Beispielen, die greifen, ohne mich vorher zu pathologisieren.

Ja, es gibt einzelne Kapitel, Fragmente, Formulierungen, die mich berühren. Aber zu oft bleiben Bücher an der Oberfläche, bei der sachlichen Einordnung, bei einer Vorstellung von Autismus, die für Außenstehende verfasst ist – nicht aus der Perspektive der Betroffenen selbst.

Ich wünsche mir Texte, die nicht aus dem Beobachtungsraum stammen, sondern aus dem gelebten Alltag. Nicht vom Therapeutenstuhl aus gedacht, sondern aus einem Küchenstuhl. Aus der U-Bahn. Aus dem Moment, in dem man nicht weiß, ob man es noch nach Hause schafft. Worte, die nicht perfekt sein wollen, sondern ehrlich sind.

Denn Bücher, die wirklich helfen, tun das nicht, weil sie vollständig sind oder alle Definitionen liefern. Sondern weil sie zeigen, was sonst nicht ausgesprochen wird. Weil sie still aushalten, was viele nicht benennen möchten: Dass Autismus nicht zu lösen ist, sondern zu verstehen – und dass in diesem Verstehen bereits ein Teil der Entlastung liegt.

Ich brauche kein Happy End. Ich brauche ein echtes Kapitel.



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