Wie sich visuelle Reize im Autismus-Spektrum entfalten
Es gibt Tage, an denen ich den Raum betrete und sofort wieder hinausmöchte. Nicht weil jemand etwas gesagt hat, nicht weil es laut ist. Sondern weil das Licht flackert, der Bildschirm in der Ecke blau pulsiert und jede Oberfläche im Raum eine andere Reflexion wirft. Dann ist es nicht das Gesehene, das stört – sondern das, was es auslöst: ein visuelles Rauschen, das mein Nervensystem zum Flirren bringt.
Wenn Augen zu viel sehen – und das Gehirn nicht filtern kann
Viele Autist:innen beschreiben ihren Sehsinn nicht als Fenster zur Welt, sondern eher als Projektionsfläche für Reizfluten. Ich sehe nicht einfach einen Raum – ich sehe jede Ecke, jede Spiegelung, jedes Kabel. Die Dinge treten nicht zurück. Sie drängen sich auf. Neonlicht ist für mich kein Licht, es ist ein Angriff. Bewegte Bilder, Werbeanimationen, Farbübergänge: Alles konkurriert um meine Aufmerksamkeit, gleichzeitig, gleich laut, gleich dringend.
Detailverliebtheit oder Reizüberflutung?
Manche denken, ich sei besonders aufmerksam. Dass ich Details bemerke, die anderen entgehen. Und ja, das stimmt. Aber es ist keine Gabe, die ich gezielt einsetze. Es ist ein Zustand, in dem mein Gehirn nicht auswählt. Ich kann nicht entscheiden, ob ich die Staubschicht auf dem Monitor ignoriere oder die zu helle Farbe des Teppichs vergesse. Alles bleibt. Alles wirkt. Und irgendwann ist es zu viel.
Wenn Klarheit anstrengend wird
Ich erinnere mich an eine Besprechung in einem Meetingraum mit Glaswänden. Die Sonne fiel direkt auf den Tisch, spiegelte sich in Wasserflaschen, flackerte über die Gesichter. Ich konnte mich kaum konzentrieren. Nicht weil das Thema schwierig war, sondern weil mein Blick nirgends ruhen konnte. Die Welt war zu grell, zu flach, zu glänzend. Und während andere einfach dagesessen und zugehört haben, musste ich innerlich gegen den Raum anarbeiten.
Was hilft: visuelle Reize entwirren
Ich mag klare Linien. Sanfte Kontraste. Matte Flächen. Kein Durcheinander aus Mustern, keine blinkenden Lichtquellen. Mein Zuhause ist minimalistisch eingerichtet, nicht weil ich Designpreise gewinnen will, sondern weil ich dann besser atmen kann. Visuelle Ruhe bedeutet für mich: mein Nervensystem entlasten. Endlich nicht mehr alles gleichzeitig verarbeiten müssen.
Was andere nicht sehen – ist für mich oft zu viel
Ich wünsche mir, dass Sehen nicht mit Überblick gleichgesetzt wird. Dass nicht davon ausgegangen wird, dass ich alles im Blick habe, nur weil ich alles sehe. Oft wäre mir weniger lieber. Ein Raum, der nicht blendet. Eine Umgebung, die nicht blinkt. Und Menschen, die verstehen, dass „visuelle Überforderung“ kein Feingefühl für Ästhetik meint – sondern eine reale Belastung.
Denn manchmal ist Sehen für mich keine Orientierung. Sondern ein Zustand, den ich aushalten muss.
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