Es war ein schöner Abend. Leicht, vertraut, voller Wärme. Ich war mit zwei Freundinnen verabredet, die ich seit Jahren kenne. Menschen, bei denen ich nicht erkläre, nicht vorspielen, nicht filtern muss. Wir saßen auf dem Balkon, tranken Tee, sprachen über Bücher, Beziehungen, Erinnerungen. Es war nicht laut, nicht hektisch. Und doch: Als ich nach Hause kam, war ich leer. Nicht enttäuscht, nicht traurig – aber innerlich erschöpft. So, als hätte ich alle Reserven aufgebraucht, obwohl niemand sie eingefordert hatte.
Auch Gutes kann ermüden
Diese Art von Erschöpfung begleitet mich oft. Und sie tritt nicht nur dann auf, wenn Situationen schwierig sind oder Gespräche unangenehm. Im Gegenteil: Gerade in den Momenten, die eigentlich gut sind, spüre ich später oft besonders deutlich, wie sehr mich selbst positive soziale Interaktion fordert.
Ich bin autistisch. Und auch wenn ich mich in vielen sozialen Kontexten sicher bewege, kostet es mich Energie. Weil mein Gehirn vieles gleichzeitig wahrnimmt und verarbeitet – nicht nur Worte, sondern Stimmlagen, Pausen, Gesichtsausdrücke, Untertöne. Weil ich versuche, präsent zu bleiben, ohne mich selbst dabei zu verlieren. Weil ich fast nie einfach nur „da bin“, sondern ständig auf mehreren Ebenen mitdenke, mitfühle, abgleiche.
Gespräch ist vorbei – aber mein Kopf noch drin
Ein Gespräch, das für andere zwei Stunden dauerte, dauert in mir manchmal viel länger. Es hallt nach. Ich denke noch Tage später an einzelne Sätze, an die Art, wie jemand etwas formuliert hat. Ich frage mich, ob ich etwas hätte anders sagen sollen, ob meine Pausen zu lang oder zu kurz waren. Und ich merke: Das Gespräch ist vorbei – aber mein System ist noch mittendrin.
Emotionale Tiefe fordert Energie
Besonders herausfordernd ist das bei Gesprächen, die mir wichtig sind. Denn dort bin ich emotional aufmerksamer, offener, empfindsamer. Ich will nichts verpassen. Ich will niemandem zu nahe treten – aber auch nicht zu weit wegbleiben. Und so tanze ich ständig auf einem inneren Steg zwischen Verbindung und Selbstschutz.
Ich erinnere mich an ein Treffen, das wunderbar war. Wir lachten viel. Es war vertraut, tief, leicht zugleich. Und doch spürte ich irgendwann einen Punkt, an dem mein Körper stiller wurde, meine Sinne sich zurückzogen, mein Blick verschwamm. Nicht weil etwas falsch war – sondern weil es einfach genug war. Ich blieb noch, ich lächelte, ich hörte zu. Aber innerlich hatte ich mich schon auf den Heimweg gemacht.
Erschöpfung ist nicht immer negativ
Diese Form von sozialer Erschöpfung ist schwer zu erklären, weil sie nicht logisch erscheint. Denn sie widerspricht dem, was viele mit Erschöpfung verbinden: Konflikt, Anstrengung, Stress. Aber in meinem Fall ist es oft das Gegenteil. Es ist die Fülle, nicht das Fehlen. Das Zuviel an Wahrnehmung. Die Tiefe, nicht die Lautstärke.
Und ich weiß, dass ich damit nicht allein bin. Viele neurodivergente Menschen kennen dieses Phänomen. Dass selbst liebevolle Kontakte zu viel werden können. Dass Rückzug nicht Ablehnung bedeutet. Dass man nach dem Schönsten manchmal am meisten Ruhe braucht.
Rückzug als Wertschätzung
Ich wünsche mir, dass wir beginnen, diese Form von Erschöpfung ernst zu nehmen. Dass wir aufhören zu glauben, soziale Energie müsse sich immer durch Nähe auftanken lassen. Für manche Menschen, so wie mich, ist Nähe ein Geschenk – aber auch eine Investition. Und beides darf gleichzeitig wahr sein.
Wenn du also jemanden kennst, der sich nach einem schönen Abend zurückzieht, still wird oder später schreibt, dass er Zeit für sich braucht: Nimm es nicht persönlich. Vielleicht ist genau dieser Rückzug ein Zeichen dafür, wie sehr es bedeutet hat.
Und wenn du selbst so fühlst: Du bist nicht seltsam. Du bist aufmerksam. Du bist empfindsam. Du bist nicht weniger sozial – nur anders müde.
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