Autismus-Selbsthilfebuch

Was ich mir wirklich wünsche

Ein persönlicher Blick auf leere Seiten, hilfreiche Worte – und das, was dazwischen fehlt.

Ich habe viele Bücher über Autismus gelesen. Oder besser gesagt: Ich habe viele angefangen. Einige lagen wie Diagnose-Broschüren in schönerem Layout auf dem Tisch. Andere klangen, als wollten sie mich therapieren, bevor ich mich überhaupt vorgestellt hatte. Viele waren sachlich. Einige sogar gut gemeint. Aber nur sehr wenige haben sich tatsächlich so gelesen, als wären sie für mich geschrieben – und nicht über mich.

Was ich mir wünsche, ist ein Buch, das mir nicht erklärt, wie ich bin – sondern das mir erlaubt, zu sein.

Ein Selbsthilfebuch, das nicht so tut, als sei Selbsthilfe ein Projektplan mit Zielerreichung, sondern ein Prozess. Ein Weg, der Raum lässt für Umwege, Pausen, Wiederholungen. Ich wünsche mir authentisches Wissen statt Checklisten. Keine fünf Tipps gegen Reizüberflutung, keine Tabellen, die meine emotionale Regulation strukturieren sollen wie ein Stundenplan.

(Kurze Anmerkung: Das war bewusst pointiert, einige Strukturhilfen und Tipps sind eigentlich super hilfreich und ich brauche sie!)

Ich wünsche mir Sätze, die atmen dürfen. Die zeigen, wie es sich anfühlt, neurodivergent und überfordert zu sein, bevor sie erklären, was helfen könnte. Ich will nicht von außen gegliedert werden. Ich will Worte finden, die sich nach mir anfühlen – und nicht nach einer Diagnosebroschüre im Schulamt.

Denn Selbsthilfe bei Autismus bedeutet nicht, dass man alles selbst in die Hand nimmt. Es bedeutet, sich selbst überhaupt erst wieder in die Hand zu bekommen. Zwischen Reizüberlastung, sozialer Unsicherheit, Maskierung und der ständigen Frage: „Bin ich gerade zu viel – oder schon wieder zu wenig?“ brauche ich kein Arbeitsblatt. Ich brauche ein Gegenüber.

Ich wünsche mir ein Buch, das die Reibung kennt, wenn Sprache nicht reicht. Das weiß, wie es sich anfühlt, im Supermarktlicht zu stehen und sich zu fragen, ob man besser geht, bevor man zusammenbricht.
Ein Buch, das mich in solchen Momenten nicht coachen will – sondern einfach sagt: Ich sehe dich.

Was oft fehlt, ist barrierefreie Sprache in Selbsthilfebüchern – nicht im technischen Sinn, sondern emotional. Bücher, die nicht sofort kategorisieren, sondern begleiten. Die nicht von außen sagen „du bist gut, so wie du bist“, sondern es zwischen den Zeilen mitschwingen lassen. Ein unterstützender Tonfall statt Ratgeber-Sprache, die klingt, als müsste man sich erst reparieren, um gültig zu sein.

Ich wünsche mir, dass es nicht für Eltern – sondern für Betroffene geschrieben ist. Nicht um anderen zu erklären, wie man mit uns „umgehen“ soll, sondern wie wir mit uns selbst sein dürfen. Echte Erklärungen, keine Belehrungen.Alltagssprache ohne Infantilisierung. Tools für Reizüberlastung, ohne dass ich mich vorher rechtfertigen muss, warum mein Nervensystem anders reagiert.

Es gibt gute Ansätze. Einzelne Kapitel, die mich berührt haben. Sätze, in denen ich etwas wiedererkenne. Aber zu oft bleiben Bücher an der Oberfläche stehen, bei der Psychoedukation, bei Definitionen, bei einer Vorstellung von Autismus, die sich an die Mehrheit richtet – und nicht an die Betroffenen selbst.

Ich wünsche mir Bücher, die aus der Mitte geschrieben sind. Nicht aus der Vogelperspektive. Nicht aus dem Therapeutenstuhl. Sondern aus dem Küchenstuhl. Aus der U-Bahn. Aus dem Moment, in dem man denkt: „Ich will nur nach Hause – aber ich weiß nicht, ob ich das heute noch schaffe.“

Bücher, die wirklich helfen, tun das oft nicht, weil sie perfekt erklärt sind. Sondern weil sie etwas zeigen, das sonst niemand zeigt. Und weil sie etwas aushalten, das viele nicht aushalten wollen: dass Autismus nicht immer lösbar ist. Aber oft beschreibbar. Und dass in dieser Beschreibung schon so viel Hilfe liegt.

Ich will kein Happy End. Ich will ein echtes Kapitel.

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